Mit Kindern über Krieg sprechen - Eine Kindergeschichte über Krieg und Frieden
Berichte über Kriege, Terroranschläge, Amokläufe oder Naturkatastrophen können Kinder verunsichern und ihnen Angst machen. Kinder sind dabei sehr feinfühlig und bemerken auch die Sorgen der Erwachsenen. Mit dem Krieg in der Ukraine stehen auch Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe und in den Schulen vor der Herausforderung mit ihrer eigenen Unsicherheit und ihren Emotionen umzugehen und gleichzeitig den Kindern Ängste zu nehmen und Sicherheit zu geben. Es ist besonders wichtig Ruhe zu bewahren und die eigenen Sorgen nicht auf die Kinder zu übertragen. Fachkräfte sollten sehr aufmerksam sein und die Kinder beobachten. Manche Kinder äußern ihre Gedanken und Ängste sehr offen und stellen vielleicht die Frage „was ist Krieg?“. Andere Kinder sind eher introvertiert und ziehen sich zurück. Dann sollten die Fachkräfte die Kinder ansprechen und fragen, was los ist. Gerade im Kindergarten und in der Grundschule kommt es vor, dass Kinder Informationen von anderen aufschnappen und dadurch verunsichert werden. Dann ist es wichtig die Kinder zu beruhigen und mit ihnen über das Thema Krieg zu sprechen.
Manchmal kann auch eine Geschichte helfen, Kindern schwierige Themen näher zu bringen. In der Geschichte „Streit im Zauberwald – und wie die Tiere wieder Frieden schließen“ erleben die Tiere aus dem Zauberwald einen großen Streit, bei dem territoriale Grenzen verändert werden, die Biber ihr Zuhause verlieren, die Fronten sich verhärten aber am Ende doch ein Friedensvertrag geschlossen wird, der es künftig allen Waldbewohner*innen ermöglicht, friedlich miteinander zu leben.
Vielleicht kann die Geschichte auch Ihnen im pädagogischen Alltag eine Hilfe sein, um bei Bedarf mit Kindern über das schwierige Thema zu sprechen.
Der große Streit im Zauberwald –
eine Kindergeschichte über Krieg und Frieden
Maya ist eine kleine Füchsin und drei Jahre alt. Sie lebt mit ihrer Familie im Zauberwald. Das ist ein toller Ort, wo auch ganz viele andere Tiere wohnen. Maya fühlt sich sehr wohl im Zauberwald. Am liebsten spielt sie mit ihren Freund/-innen Verstecken, schlägt Purzelbäume am Sommerberg oder faulenzt im Schatten der hundertjährigen Eiche. Mayas liebste Jahreszeit ist der Sommer. Im Sommer treffen sich nämlich alle Tiere jeden Sonntag zu einem Picknick am Fluss. Da gibt es dann leckere Waldbeertorte, Tannenzapfenmarmelade und Mama Fuchs backt immer diese köstlichen Nussschnecken, die alle Waldbewohner*innen lieben.
Eines schönen Sommermorgens wird Maya von einem lauten Geräusch wach. „Das klingt ja fast so, als ob jemand Bäume und große Steine durch den Wald zerrt,“ hört sie Papa Fuchs zu Mama Fuchs sagen. „Was da nur wieder los ist?“, will Mama Fuchs wissen. Maya findet das laute Grollen etwas unheimlich, aber sie möchte auch wissen, was in ihrem Zauberwald vor sich geht.
Vor dem Fuchsbau ist tierisch was los. Die Hasenfamilie hüpft aufgeregt auf und ab und Frau Lampe hat allerhand zu tun, um ihre Kinder zu beruhigen. Auch Familie Bär ist auf den Beinen und Mayas bester Freund Elyas kommt eilig auf sie zu gerannt: „Der Platzhirsch ist völlig verrückt geworden! Er baut einen Zaun rund um den Fluss,“ ruft er. Immer mehr Tiere versammeln sich um den Fuchsbau und alle reden wild durcheinander. „Ruhe!“, hallt es plötzlich von der hundertjährigen Eicher herab. Die weise Eule sitzt auf einem dicken Ast und hält ihre Flügel schützend über die Tiere. Die Eule wird von allen Tieren für ihre Klugheit geschätzt und all das Gerede verstummt augenblicklich. „Ja, es ist wahr,“ beginnt die Eule ihre Rede: „Der dickköpfige Platzhirsch ist verrückt geworden. Er beansprucht den Fluss, der durch unseren Wald fließt, für sich allein und baut einen Zaun aus Steinen und Bäumen rings um den Fluss.“ Ein Raunen geht durch die Menge, aber die Eule fährt fort: „Heute Nacht hat der Platzhirsch beschlossen, dass für uns andere Tiere nur noch der obere Teil vom Fluss zugänglich ist, da wo die Quelle entspringt. Wir haben dann zwar alle genug zu Trinken, aber einige von uns haben ihr Zuhause verloren. Der Platzhirsch hat zum Beispiel der Biberfamilie verboten weiterhin in ihrem schönen Bau zu leben. Sie sollen sich einen anderen Bau suchen. Er hat ihnen gedroht, wenn sie bleiben, würde er mit seinem großen Geweih das Haus kaputt machen.“ Die Eule zeigt mit ihrem Flügel auf Familie Biber, die auf zwei vollgepackten Koffern sitzt und traurig aussieht. „Das kann er doch nicht machen!“, hallt es durch die Menge. „Das ist ungerecht,“ ruft ein anderer. „Jetzt sind wir mit dem machtgierigen Platzhirsch im Streit,“ spricht der Igel wütend das aus, was alle Waldbewohner*innen denken. Maya beobachtet das Geschehen und findet auch, dass der Platzhirsch richtig gemein ist. „Wir sollten uns alle gegen den Hirsch zur Wehr setzen,“ findet der Igel, der seine Stacheln in die Höhe streckt. „Aber der Platzhirsch ist doch viel stärker als wir,“ hält eine Amsel dagegen. „Wir haben unsere Heimat verloren. Wo sollen wir denn nun hin?“, hört man Frau Biber flüstern. „Ihr könnt doch erstmal bei uns wohnen!“, platzt es aus Maya heraus, die unbedingt auch helfen möchte. Papa und Mama Fuchs nicken sich gegenseitig zu und willigen ein. Papa Fuchs nimmt die Koffer von Familie Biber und trägt sie in den Fuchsbau, während Mama Fuchs den Biberkindern je eine ihrer köstlichen Nussschnecken schenkt, die sie am Morgen frisch gebacken hat.
„Ich finde trotzdem, dass wir um unseren Fluss kämpfen sollten. Das ist alles nicht richtig, was der Platzhirsch tut,“ protestiert der kleine Maulwurf, der mit seinem Fuß auf den Boden stampft und die Arme vor der Brust verschränkt. Die Eule räuspert sich: „Ich habe eine Idee! Aber dabei müssen alle mithelfen und es wird auch für uns alle anstrengend werden.“ Die Tiere blicken gespannt zur Eule hinauf. „Wir bauen einen Staudamm!“ „Einen Staudamm?“, fragt Frau Biber ungläubig. Die Tiere schauen sich schweigend an. Der pfiffige Dachs ist der erste, der die geniale Idee der Eule begreift: „Ja, einen Staudamm. Uns gehört der Teil des Flusses, wo die Quelle entspringt. Genau dort werden wir einen Staudamm bauen und das Wasser in einen Stausee umleiten. Dann wird durch den Fluss nur noch wenig Wasser fließen und der Platzhirsch erlebt selbst, wie es ist wenig Wasser zu haben.“ Ein Jubel geht durch die Menge. „Herr Biber und Frau Biber, ihr müsst die Bäume zurecht sägen. Familie Hase und die Füchse buddeln ein großes Loch aus, wo der Stausee entsteht. Alle anderen Tiere können Äste und Stöcker sammeln, die wir für den Staudamm benötigen,“ verteilt der Dachs die Aufgaben.
Alle machen sich an die Arbeit. Maya buddelt mit den anderen ein tiefes Loch. Das ist in der Sommerhitze ziemlich anstrengend. Aber Maya weiß, dass es richtig ist, sich in der Not gegenseitig zu helfen. Die Biber sägen Bäume zurecht und türmen sie zu einem Damm auf. Der kleine Maulwurf stopft die Löcher mit dünneren Ästen und Zweigen.
Am Abend ist der Staudamm fertig und das Wasser im Stausee füllt sich langsam. Die Tiere sind zufrieden und beschließen am nächsten Morgen ein Picknick am Stausee zu veranstalten.
Maya wird am Morgen von dem Duft der köstlichen Nussschnecken geweckt, der durch den Fuchsbau zieht. Auch die Biberfamilie ist schon wach und Herr Biber kocht Tannenzapfenmarmelade, während Frau Biber den Bollerwagen mit Lebensmitteln und einer Picknickdecke packt. Fröhlich und gutgelaunt versammeln sich alle Tiere an ihrem Stausee. Es wird gegessen, getrunken und gebadet. Plötzlich wird das gesellige Treiben durch ein lautes Geräusch unterbrochen. „Ihr habt mir mein Wasser gestohlen!“, ruft der Platzhirsch, der hinter den Bäumen auftaucht. „Ich wollte heute Morgen ein schönes Bad nehmen, und was muss ich feststellen? In meinem Fluss ist gerade mal genug Wasser, damit ich genügend zu trinken habe.“ Der ruhige aber pfiffige Dachs ergreift als erster das Wort: „Platzhirsch, du hast den Fluss für dich beansprucht, ohne dir über uns Gedanken zu machen. Familie Biber hat ihr Zuhause verloren, die Krötenkinder können nicht mehr Schwimmen lernen, wir anderen Tiere können nicht mehr im Fluss baden. Du hast gesagt, dass uns nur der obere Teil des Flusses zusteht. So haben wir uns also einen Stausee gebaut, damit alle Tiere gleichermaßen das Wasser nutzen können. Du selbst trägst dafür die Verantwortung.“ Der Hirsch legt seine Stirn in Falten. Er erinnert sich an die Worte seines Vaters: „Ein altes Sprichwort sagt. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem anderen zu.“ Beschämt blickt der Platzhirsch zu Boden: „Es tut mir leid. Ich wollte nicht mit euch in Streit geraten. Ich war sehr gemein und habe nur an mich gedacht,“ gibt er zu. „Tja, da hast du jetzt wohl Pech gehabt,“ schimpft der kleine Maulwurf und wirft eine Eichel in Richtung des Platzhirsches. „Stopp!“, schallt es vom Himmel, wo die Eule ihre Kreise zieht. „Der Platzhirsch hat eingesehen, dass er einen großen Fehler gemacht hat. Wir alle machen Fehler. Aber wir müssen aus den Fehlern lernen und so etwas darf sich nicht wiederholen.“ Die Tiere nicken. Der pfiffige Dachs stimmt der Eule zu und sagt: „Wir sollten einen Friedensvertrag schließen.“ Auf einem großen Blatt schreibt der Dachs
„Mit diesem Vertrag unterschreiben alle Tiere des Waldes, dass der Fluss nie wieder von einem Tier beansprucht wird. Das Wasser ist für alle Tiere des Waldes da.“
Alle Tiere unterschreiben mit einem Pfoten- oder Krallenabdruck den Vertrag. Papa Fuchs holt noch schnell einen Hammer aus seinem Bau und nagelt den Vertrag gut sichtbar an die hundertjährige Eiche. Danach reißen alle Tiere den Staudamm gemeinsam ein. Mit der Hilfe des starken, Platzhirsches geht das ganz schnell. Das Wasser im Fluss füllt sich wieder und der Platzhirsch hilft Familie Biber dabei ihre Koffer wieder nach Hause zu tragen.
Maya sitzt unter der hundertjährigen Eiche, die ihr Schatten spendet. Sie isst eine von Mama Fuchs köstlichen Nussschnecken und ist froh, dass nach dem großen Streit wieder Frieden im Zauberwald herrscht.
Verfasserin: Silvia C. Müller
(Sozialarbeiterin, insoweit erfahrene Kinderschutzfachkraft und systemische Beraterin in der Kinder- und Jugendhilfe)
Der große Streit im Zauberwald.pdf
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